Jetzt geht es los
Siegerländer Pioniere: Zwei Betriebe stellen Auszubildende in Teilzeit ein
Die Freude war riesig bei der jungen Mutter Stephanie Kraft als Matthias Fries aus seiner Steuerberatungskanzlei in Dahlbruch anrief und ihr mitteilte, dass die Auszubildenden-Wahl auf sie gefallen sei. Fries, der seit Anfang des Jahres die Kanzlei betreibt, in der er seit 14 Jahren tätig ist und die er von Lothar Brunke übernommen hat, wollte jemandem eine Chance geben, der ansonsten auf dem Ausbildungsmarkt eher benachteiligt wird. Der junge Unternehmer hat keinerlei Vorbehalte gegen das Konzept einer Ausbildung in Teilzeit. Der Ausbildungsvertrag sieht für Stephanie Kraft eine 33-Stunden-Woche vor. Darin enthalten sind die zwei Berufsschultage. Stephanie Kraft antwortet zuversichtlich auf die Frage, ob sie keine Angst habe, das Pensum zu schaffen, dass die Freude überwiege und: „Ich habe bisher so vieles geschafft, dann wird das auch klappen“. Es liege auch an der Herangehensweise bei einer arbeitszeitverkürzten Ausbildung, fügt Fries an. „Man kann das sehr gut steuern, wenn man die Ausbildung entsprechend anlegt“, ist er sich sicher. Matthias Fries ist jetzt gleich zweifach Pionier. Stephanie Kraft ist seine erste Auszubildende und er ist einer der ersten, die TEP für sich entdeckt haben. „Ich bilde für den Eigenbedarf aus“, sagt er und weist darauf hin, dass er von daher sehr genau geschaut hat, wer in seinem dann 6 Mitarbeiter starkem Team die Ausbildung beginnen kann. Überzeugt hat die Mutter der zweieinhalbjährigen Alisha durch ihre Umgangsformen und ihre Selbstsicherheit, sagt der Chef des Steuerberaterbüros, von dessen Dienstleistung klein- und mittelständische Unternehmen ebenso wie Privatleute Gebrauch machen. Von der Möglichkeit einer Ausbildung in Teilzeit hat Fries durch die Bewerbung seiner künftigen Auszubildenden erfahren.
Bewerbungen verfassen, Stärken entdecken und formulieren waren ein Themengebiet im Programm TEP, an dem 11 junge Eltern teilnehmen. TEP steht für Teilzeitberufsausbildung - Einstieg begleiten - Perspektive öffnen und wird vom Land NRW aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Seit 1. April läuft TEP bei der gemeinnützigen Trägerin Alternative Lebensräume gGmbH für 12 Monate unter der Projektleitung von Ursula Rauscher. Sie ist es auch, die in den ersten 8 Monaten der Ausbildung die Betriebe und die Auszubildenden begleitet und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. „Ausbildung in Teilzeit für junge Menschen mit Erziehungsverantwortung anzubieten hat auch für Betriebe Vorteile. Unsere Eltern im Programm sind hochmotiviert, haben ihre familiären Verpflichtungen geregelt und wollen ihre Energie in ihre berufliche Zukunft investieren. Durch die reduzierte Stundenzahl haben sie zwar weniger Vergütung, die wird angepasst, aber auch die Möglichkeit ihren Zeit mit dem Kind positiv zu gestalten. Sie sind zielorientierter, verantwortungsbereiter und reifer, als Schulabgänger mit 16 oder 17 Jahren.“
Einen solchen guten Eindruck hat auch Riccarda Niephaus, Mutter eines dreieinhalbjährigen Kindes, hinterlassen, als sie Ihre Bewerbung bei Day-Night-Sports und dessen Leiter Fabian Steuhl hinterlegte. Fabian Steuhl, der die Fitnessstudio-Kette in Weidenau leitet, war sich schnell sicher, mit der jungen Frau die richtige Auszubildende gefunden zu haben. „Sie hat einfach gut gepasst“, sagt der gelernte Fitness-Ökonom und erinnert sich an das Bewerbungsgespräch. Im anschließenden Praktikum konnte Riccarda Niephaus dann zeigen, „was sie drauf hat“. Auch der anfängliche Muskelkater hat die energiegeladene 20-Jährige nicht geschreckt innerhalb von drei Jahren ihre Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau anzugehen. Die ansonsten in dem Studio geltende Arbeitszeit von 40 Stunden wurde bei ihr auf 35 Stunden reduziert, so dass sie an einem Tag in der Woche und an den Wochenenden frei haben wird. Dass solche flexiblen Lösungen möglich sind in einem Studio, das rund um die Uhr offen hat, ist der Kollegialität und der Personalführung zu verdanken. In dem rund 1500 qm großen Studio mit zahlreichen Gruppenangeboten, Individualtraining und einem „Women’s-Corner“ teilen sich die rund 20 Angestellten die Betreuung und den Service in mehreren Schichten. Dem erfolgreichen Bewerbungsgespräch folgte ein Praktikum im Studio. „Man muss für diesen Beruf die richtige Einstellung mitbringen, den Spaß an der Sache übertragen können und Riccarda bringt sich hier gut ein“, sagt Steuhl, der selbst mit Leib und Seele seinen Beruf ausübt und das auch von den Mitarbeitern einfordern kann. Der Beruf sei sehr vielseitig. Inhalte seien Fitnesskurse geben, individuelle Trainingsbetreuung leisten, die Gewinnung von Mitgliedern, Verwaltungsaufgaben und den Servicebereich managen. Da braucht es Menschen, die selbstständig arbeiten und Verantwortung übernehmen können. Ebenso haben Mitarbeiter nach der Ausbildung gute Aufstiegschancen, nicht zuletzt durch Weiterbildung. „Eine spätere Übernahme von guten Kräften ist nicht ausgeschlossen“, fügt Steuhl an und signalisiert Bereitschaft noch einen Teilzeitauszubildenden einzustellen. Day-Night-Sports - hier mag der Name Programm sein, denn wer solche offenen Geschäftszeiten anbietet, zeigt sich auch neuen Konzepten gegenüber aufgeschlossen.
„Davon brauchen wir noch mehr“, sagt Ursula Rauscher, die für die weiteren Teilnehmer im Programm unermüdlich nach Ausbildungsplätzen im Siegerland sucht. Die Ausbildungssuchenden verfügten alle über einen guten Schulabschluss, bringen eine hohe Motivation mit und seien starke Persönlichkeiten mit viel Lernwillen. Sie suchen Ausbildungsplätze in den Bereichen Verkauf (von Automobil über Baumarkt und Lebensmittel bis zu Mode und Drogerie), kaufmännische Berufe, handwerkliche Berufe, wie Frisörin, Elektriker/in, Raumausstatterin, Gebäudereinigerin, Bestatterin. Unternehmen im medizinischen Bereich, die medizinische oder zahnmedizinische Fachangestellte ausbilden wären auch herzlich eingeladen, sich bei TEP zu melden. „Unsere jungen Eltern haben einen aussagekräftigen Bewerbungsflyer erstellt und bieten ein Praktikum an und das sehr zeitnah“, betont Ursula Rauscher. Ausbildungsbetriebe, auch im Siegerland, beklagen, dass einige Auszubildende ihre Stelle nicht antreten und kurzfristig oder gar nicht absagen, weil sie sich anders entschieden haben oder einen Studienplatz einnehmen. „Rund 100 Ausbildungsstellen im Raum Siegen sind derzeit im Internet inseriert. Alle Betriebe müssen sich der zeitintensiven und damit kostenerzeugenden Bewerberauswahl stellen. Wer sich bei uns meldet, kann sicher gehen, eine Kraft zu bekommen, die zu ihm passt“, benennt Ursula Rauscher den Vorteil, eine/n Bewerber/in aus dem TEP-Programm kennen zu lernen. Geschäftsführerin von Alternative Lebensräume Sonja Becker, unterstreicht die Notwendigkeit neuer Wege im Ausbildungsmarkt: "Heutige Arbeitnehmer müssen immer flexibler sein, Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind langfristig ohne eine gute Ausbildung eher gering, die Gesellschaft braucht aber auch Familien und Menschen, die Erziehungsaufgaben ernst nehmen. Und diese jungen Eltern brauchen Betriebe, die auf ihre Bedürfnisse eingehen. Das Programm TEP bietet genau die Unterstützung, die ausbildungsplatzsuchende Eltern brauchen und hilft den Betrieben, eine Teilzeitausbildung umzusetzen."
Interessenten wenden sich bitte an ursula.rauscher@alia-siegen.de oder telefonisch bei Alternative Lebensräume gGmbH, Tel.: 0271 - 3 84 62 67.